Ilknur Altan

 Interview:
Ilknur Altan wünscht sich harmonischere Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland

von Gaby Heilinger 

Es ist ein grauer Winterabend im Februar, kurz vor 19.00 Uhr und draußen bitterkalt. Ich habe mich hier im Büro mit Ilknur Altan verabredet. Plötzlich steht sie da, reibt sich die eiskalten Hände und man sieht an der rotgefrorenen Nase, wie gut ihr ein heißer Tee bekommen würde. Dankend nimmt sie die dampfende Tasse in Empfang und nimmt vor meinem Schreibtisch Platz. Ich freue mich auf das Plauderstündchen mit Ilknur, die während des Gesprächs genüsslich ihren Tee schlürft.
Ilknur, wie war denn das damals, wie bist du nach Deutschland gekommen? Waren deine Eltern schon hier und du wurdest in Kempten geboren?

Nein, (sie lacht) ich bin in Istanbul geboren. Mein Vater hat mich und meine Mutter 1970 nach Deutschland geholt. Damals war ich 2 Jahre alt. Das erste Mal kam mein Vater allein nach Deutschland. Damals ging er nach Köln. Er arbeitete in den Ford-Werken. Dann fuhr er mit dem dort verdienten Geld zurück in die Türkei. Dort heiratete er meine Mutter, und, ausgestattet mit ein paar Brocken Deutsch, versuchte er 1969 abermals sein Glück in Deutschland. Dieses Mal verschlug es ihn nach Kempten. Seine erste Arbeitsstelle hier war die Kemptener Maschinenfabrik auf dem Bühl.
Er hatte sicher große Sehnsucht nach euch, denn wenn er dich und deine Mutter bereits 1970 nachgeholt hat, hielt er es ja nicht lange allein aus.

Ja, das ist richtig, vor allen Dingen ich, seine zweijährige Tochter, fehlte ihm wohl sehr. Als wir in Kempten ankamen, zogen wir dann alle zusammen aus der Barackenwohnung, in der er während seiner Zeit als Strohwitwer gehaust hatte, in die erste gemeinsame Wohnung nach Hirschdorf.

Du warst damals sehr klein und weißt es vielleicht nur aus Erzählungen, aber wie war denn das? War euch in dieser gemeinsamen Wohnung schon klar, dass ihr immer in Deutschland bleiben würdet oder habt ihr das Ganze nur als Übergangszeit gesehen?

Diese Frage war immer ein Thema in unserer Familie. Obwohl wir in Kempten sehr zufrieden lebten, und unsere Familie sich mit insgesamt 5 Kindern sehr vergrößert hatte, träumten die Eltern eigentlich seit 1980 immer von einem Neuanfang in Istanbul. Mein Werdegang schien meinen Eltern sehr wichtig zu sein, und so schob man zunächst den Zeitpunkt der Rückkehr auf das Ende meiner Schulzeit, dann auf das Ende der Lehrzeit. Aber irgendwann, (sagt sie sehr erleichtert) entschied die Familie, dass es sich in Deutschland doch besser leben lässt und wir Kinder inzwischen ein Alter erreicht hatten, in dem wir nicht mehr zurückwollten. So musste dann ein Heimaturlaub, aus finanziellen Gründen, im Zweijahres-Rhythmus, zunächst reichen.
Ilknur, du hast gesagt, ihr seid insgesamt 5 Kinder gewesen. Ich muss sagen, da haben deine Eltern aber eine großartige Leistung vollbracht, neben ihrer Arbeit, der sie täglich nachgehen mussten, fünf so gut geratene Kinder großzuziehen. Wie war deine Kindheit, wie und wo hast du Deutsch gelernt? Woran erinnerst du dich?

Ja, ich denke gern an meine Kindheit zurück, obwohl ich streng erzogen wurde und als Älteste der Kinderschar meiner immer berufstätigen Mutter viel im Haushalt helfen musste. Ich erinnere mich auch gern an meine „Kindergartentante“, die meinen Namen Ilknur in Inge umwandelte. Seither nennen mich viele meiner deutschen Freunde Inge. Die deutsche Sprache lernten meine Geschwister und ich sehr schnell durch die deutschen Nachbarskinder, mit denen wir gern spielten. Die Muttersprache durfte aber nicht in Vergessenheit geraten. Ich erinnere mich, dass es meinem Vater sehr wichtig war und er uns immer ermahnte, zu Hause Türkisch zu reden. Da auch der deutsche Staat zunächst daran glaubte, die vielen Gastarbeiter aus der Türkei kehrten irgendwann wieder zurück in ihr Heimatland, mussten wir Gastarbeiterkinder die Schule in der türkischen Sprache absolvieren und hatten lediglich „Deutsch als Fremdsprache“ als Unterrichtsfach. Meinem Vater war das aber nicht genug, er bestand darauf, dass ich eine deutsche Klasse besuchte. Das war aber nicht so einfach durchzusetzen, die Schule weigerte sich. Und erst durch unseren Umzug auf den Adenauerring war es möglich, in die Wittelsbacherschule und somit in eine deutsche Klasse zu wechseln. Bald danach besuchte ich dann die Schwaigwies-Realschule, die sich im Gebäude der heutigen VHS befand. Ich muss sagen, dass ich nie Sprachprobleme irgendwelcher Art hatte.
Das glaube ich dir sofort, du bist ja auch heute in keinster Weise auf den Mund gefallen.

Ja, sprachlich habe ich mich also nicht von den Mitschülerinnen unterschieden, jedoch merkte ich recht bald, dass ich als türkisches Mädchen kulturbedingt in vielen Situationen längst nicht das gleiche Recht hatte wie meine deutschen Kameradinnen. Beispielsweise denke ich noch heute wehmütig daran, dass ich keinen Tanzkurs besuchen durfte und mir die Teilnahme an der Schul-Abschlussfahrt verboten war usw. Trotzdem muss ich sagen, dass unsere Eltern uns Kinder sehr offen der deutschen Kultur gegenüber erzogen. So gaben sie beispielsweise auch ihr Einverständnis zum berufsbedingten Umzug meiner Schwester nach Memmingen und Pforzheim, später dann nach Offenburg. Sie akzeptierten, wenn auch nach langem Kampf, den deutschen Schwiegersohn und danach auch die Scheidung von ihm.
Das finde ich auch sehr tolerant von ihnen, aber was blieb ihnen denn wohl auch anderes übrig? Man tut ja für die Kinder, was man kann, oder? Aber jetzt noch einmal zu dir. Wie ging es dann nach der Schule bei dir weiter?

Also, ich habe mich mit einem wirklich guten Realschulabschluss dazu entschlossen, eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin zu absolvieren. Eine Lehrstelle zu bekommen, stellte sich zum damaligen Zeitpunkt aber als ein großes Problem dar. Rassistische Randbemerkungen waren auch damals schon an der Tagesordnung. Im Rahmen der vielen Bewerbungen bei unterschiedlichen Zahnärzten ist mir noch ein Satz einer Mitschülerin in wacher Erinnerung: „Die nehmen doch sowieso keine Türkin, wenn sich auch Deutsche bewerben.“ Und tatsächlich: Obwohl ich die besseren Noten hatte, hat die deutsche Kollegin den Ausbildungsplatz bekommen.
Ein derartiges Verhalten ist absolut nicht vorstellbar, und für dich sicherlich unbegreiflich gewesen. Aber wie heißt es doch im Volksmund? „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber stetig.“ Und wenn ich mir nun bewusst mache, dass du momentan auch in einer Zahnarztpraxis arbeitest, so muss sich aber doch etwas für dich aufgetan haben, oder?

Ja genau, die positive Schicksalswendung ließ nicht lange auf sich warten. Mein Musiklehrer, Wolfgang Sterk, empfahl mich seinem Freund, dem Zahnarzt Dr. Eicher. Bei ihm durfte ich einen Tag lang Probe arbeiten, konnte durch meine durchaus freundliche Art den Menschen gegenüber und meinen ausgeprägten Arbeitseifer einen derart guten Eindruck vermitteln, dass Dr. Eicher mich sofort in ein Ausbildungsverhältnis übernahm, und, man höre und staune, die bereits angestellte deutsche Auszubildende bei einem Kollegen unterbrachte. Das war Balsam für meine Seele.

Kann ich mir lebhaft vorstellen. Bist du dann bei diesem Zahnarzt geblieben?

Ja, drei Jahre bin ich dort geblieben, denn irgendwann möchte man doch auch einmal etwas Anderes kennenlernen. Nach einigen Jahren Tätigkeit als Zahnarzthelferin ließ ich mich auf Eigeninitiative und auch auf eigene Kosten in Augsburg zur Praxismanagerin ausbilden. In dieser Position gehe ich auch heute noch sehr engagiert und voller Freude meiner Arbeit nach.
Aber Ilknur, das Leben besteht doch nicht nur aus Arbeit. Wie war denn das so mit der großen Liebe? Du wolltest doch sicher auch eine Familie?

Ja natürlich, dieser Traum wurde 1989 wahr. Ich heiratete und bekam mit 27 Jahren meinen Kronprinzen Cihad. Meine Tochter Ceyda erblickte 1998 das Licht der Welt. Die zwei Kinder machten mich sehr glücklich, und sie waren und sind der Mittelpunkt meiner Welt. Nach der Scheidung von meinem Ehemann kümmerte ich mich alleinerziehend um die Kinder. 

Wann fanden denn die Anfänge deines ehrenamtlichen Engagements statt, und wie konntest du sie mit deiner Mutterrolle verbinden?

Da ich als Kind stets den Wunsch hatte, dass ein Elternteil von mir dem Elternbeirat angehöre, erfüllte ich mir diesen nun dahingehend, dass ich mich, nun selbst Mutter, 2001 für dieses Amt in der Wittelsbacher Schule aufstellen ließ. Ich wurde einstimmig gewählt und mischte bis 2008 in dieser Funktion zum Wohle der Kinder mit. Dadurch war ich stets darüber informiert, „was denn so in der Schule los war“. Als mein Sohn Cihad in die Staatliche Realschule wechselte, engagierte ich mich auch hier, sogar als einzige Türkin, im Elternbeirat.
Donnerwetter, und wie hast du dich da eingebracht?

Im Rahmen dieser Tätigkeit besuchte ich zunächst einmal viele Fortbildungen zum Thema „Reden statt Raufen“. Bei diesen Veranstaltungen lernten wir Mütter und Väter, wie wir unsere Kinder dazu bringen können, „richtig“ zu kommunizieren und zu streiten. Uns wurden die Probleme aufgezeigt, die oftmals entstehen, wenn Kinder zwar alles verstehen, sich aber nicht verbal ausdrücken können. In diesen Schulungen wurde uns beigebracht, die Probleme der Kinder zu strukturieren und lösungsorientiert anzugehen.

Eine sehr wertvolle und sicher auch sehr erfüllende Aufgabe. Ilknur, wie steht es denn in deiner kleinen Familie um die türkische Kultur, wenn man fernab der Heimat lebt? Ist sie weiterhin in deiner Welt und der deiner Kinder präsent?

Diese Frage kann ich für mich mit einem klaren „Ja“ beantworten. Es besteht noch immer eine enge Verbindung. Gern schaue ich mir in meiner Freizeit türkische Filme an und besuche türkische Konzerte. Beim Tanzen bin ich für beide Kulturen zu begeistern. Unsere türkischen Gerichte mit den leckeren Mehl- und Süßspeisen lassen uns natürlich an der türkischen Esskultur festhalten. Außerdem bin ich eine überzeugte Muslima. Im Jahre 2010 habe ich in Augsburg an 10 Wochenenden ein Zertifikat als Moscheeführerin erworben und dieses 2016 in Kempten aufgefrischt. Gern übernehme ich bei entsprechenden Anlässen die Führungen durch unsere Moschee. Ich muss aber einräumen, dass die sogenannte Heimat für meine Kinder verständlicherweise nicht so präsent ist.

Dann wünschst du dir sicher auch türkische Ehepartner für deine Kinder, oder wie weit geht deine Toleranz?

Der Voraussetzung, dass meine Kinder türkische Ehepartner wählen sollten, habe ich abgeschworen. Meine Kinder können sich frei entscheiden. Ob Deutsch, ob Türkisch, welche Nationalität auch immer, ich werde die neuen Familienmitglieder ebenfalls in mein großes Herz schließen.
Das kann ich mir gut vorstellen. Aber jetzt komme ich zu einem weiteren wichtigen Punkt in deinem Leben. Ich glaube, nach den Kindern hat die Politik den höchsten Stellenwert für dich. Im Elternbeirat hast du dich sehr engagiert gezeigt, indem du die türkische Bevölkerung dahingehend unterstützt hast, den Kontakt zu den Schulen herzustellen. Du hast türkische Sprachkurse initiiert, mit dem Ziel, den türkischen Kindern die Sprache zu erhalten, und auch wichtiges Kulturgut beizubehalten. Dazu gehört auch der 23. April mit dem Kinderfest, das auf Kemal Atatürk zurückzuführen ist.

Richtig ist auf jeden Fall die Tatsache, dass mir Politik sehr wichtig ist. Darum hat es mich sehr gefreut, als mich während der Zeit meiner Arbeit im Elternbeirat die Anfrage des Integrationsbeirates der Stadt Kempten erreichte, zum Wohle der türkischen Bürgerinnen und Bürger auf kommunaler Ebene tätig zu sein. Ich ließ mich nicht lange bitten und gab 2001 dem damaligen Vorsitzenden Cemal Coskun die Zusage. Wieder einmal hielt das Schicksal eine besondere Überraschung, dieses Mal in Form einer Begegnung, für mich bereit. Während meiner Tätigkeit im Kreise der Integrationsbeiräte begegnete ich Siegfried Oberdörfer. Siggi wurde zu einer äußerst wichtigen Person in meinem Leben, ich bewunderte seine fundierten Kenntnisse auf vielerlei Gebieten, vertraute ihm vollends, und ich würde sagen, dass er sich als eine Art „Ziehvater“ für mich entwickelte. Er hat mich sozusagen an die Hand genommen, mich in alle Bereiche eingeführt und mich stets wegweisend unterstützt.
Ja, und ich glaube, dass auch er sogleich dein Potenzial erkannte und dir deshalb 2007 einen Platz auf der Stadtratsliste der SPD anbot, den du auch, glaube ich, gern besetzt hast, oder?

(Ilknur lacht) Nicht nur das. Im Jahr 2008 bin ich als Parteimitglied in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands eingetreten. Meiner Meinung nach ist das die Partei, die sich in höchstem Maße für die Interessen der Migrantinnen und Migranten einsetzt.

Kann man deinen Eintritt in die SPD als Sprungbrett für viele nachfolgende politische Ämter und Erfolge bezeichnen?

Vielleicht. Auf jeden Fall engagierte ich mich ab diesem Zeitpunkt mehr und mehr in Sachen Politik. 2008 wurde der „Dachverband türkischer Vereine“ gegründet, um die Bedürfnisse der einzelnen türkischen Vereine zusammenzufassen und diese strukturiert anzugehen. Man wollte Kontakte zur deutschen Bevölkerung und verstand sich somit als „Sprachrohr“. Außerdem war es wichtig, zu erfahren, „was denn jeder einzelne Verein so macht“, welche Ziele er hat und was er dafür tut, um sie zu verwirklichen. In dieser neugegründeten Organisation wurde ich zunächst zur 2. Vorsitzenden gewählt, und seit 2010 bin ich als 1. Vorsitzende für die Geschicke dieses Vereins verantwortlich.

Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Tätigkeit viel deiner ohnehin knappen Zeit einfordert, aber dir, trotz eines enormen Arbeitsaufwands, auch große Freude bereitet.

Das stimmt. Aber ich sehe durchaus auch die Wichtigkeit dieser Aufgaben. Und erfreulicherweise gibt es auch immer wieder großartige Erfolge, die mir ein befriedigendes Gefühl vermitteln und wieder neuen Antrieb geben.
Da gebe ich dir recht, so etwas kenne ich auch. Man wächst dann über sich hinaus, denn dieser Vorsitz im türkischen Dachverband war ja nicht das Ende deiner sogenannten Karriereleiter, oder?

Ich weiß nicht, ob man das so nennen soll, aber du hast recht. Heute übe ich neben meiner Tätigkeit als Vorsitzende des Dachverbandes türkischer Vereine zusätzlich das Amt der Schatzmeisterin im SPD-Kreisvorstand aus und bin stellvertretende Vorsitzende des SPD-Ortsverbands Kempten-Nord. Ganz besonders freut es mich, dass ich mich seit 2015 als erste „Stadträtin mit Migrationshintergrund“ für die Belange der Bürgerinnen und Bürger in kommunalpolitischer Hinsicht einsetzen kann.
Das freut nicht nur dich, sondern auch uns, die Kemptenerinnen und Kemptener. Aber gab es nicht 2018 ein weiteres Highlight in deiner politischen Laufbahn?

Ja, man könnte es so bezeichnen. Siggi Oberdörfer übergab mir im Mai 2018 das Amt des Integrationsbeauftragten der Stadt Kempten, das er bis dahin selbst sehr erfolgreich ausgeübt hatte.
Richtig! Und vom Oberbürgermeister Thomas Kiechle und dem Stadtrat „abgesegnet“ erfüllst du seitdem auch dieses Amt voller Elan, Klarheit und absoluter Kompetenz.
Du kandidierst doch auch für die Wahl des Europaparlaments im Mai 2019. Was hat es damit auf sich?

Ja, als sogenannte „Rucksackkandidatin“. Das bedeutet, dass bei der Wahl eines bestimmten Hauptkandidaten, aber seiner späteren Verhinderung, das Amt auszuüben, ich auf seinen Platz in den Europarat nachrücke.
Ich finde das enorm, was du als alleinerziehende Mutter von 2 Kindern, mit deiner engagierten, quirligen und sehr empathischen Art, so alles auf die Beine stellst. Warum investierst du all deine Kraft und Energie, deine Zeit und dein Potenzial in die Politik?

Es ist mir eine Selbstverständlichkeit, mich für andere Personen einzusetzen und in jeder Beziehung behilflich zu sein. Es war schon immer ein großer Wunsch von mir, etwas zum Allgemeinwohl zu bewegen. Erst durch mehr Einsicht in die Stadtpolitik und durch das Mitspracherecht fühle ich mich in der Lage, u. a. den Migrantinnen und Migranten an den Stellen zu helfen, an denen ihnen „der Schuh drückt“.

Das kann ich bestätigen. Ich glaube, bedingt durch dein großes Anpassungsvermögen, sowohl im Bereich der türkischen Mentalität, als auch in der deutschen, bist du in der Lage, eventuelle Defizite zu erkennen und lösungsorientiert anzugehen. Ilknur, wenn du in Gesprächen immer sagst:“ bei uns“, was meinst du damit? Bist du dann gedanklich in der Türkei oder in Deutschland?

Mit „bei uns“ drücke ich eigentlich je nach Situation meine Zugehörigkeit zur Türkei, aber eben auch zu Deutschland aus. Kempten ist mir übrigens ganz besonders ans Herz gewachsen, ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben.

Und wenn du dich irgendwann einmal all deiner Ämter entledigt hast, was dann?

Ich kann sicher sagen, dass es für mich, trotz meiner Verbundenheit zur Türkei, nicht vorstellbar ist, ständig dort zu leben. Ich werde eher meine Freundschaften pflegen, mir Zeit nehmen für kulturelle und sportliche Aktivitäten, tanzen gehen und Konzerte besuchen. Ich werde Bücher lesen – aber deutsche Bücher, keine türkischen, das ist zu langwierig – ich freue mich schon drauf.
Ilknur, heißt bei dir „Urlaub machen“ vielleicht „Türkei besuchen“?

Nicht unbedingt! Natürlich treffe ich mich sehr gern mit meinen Freunden und Verwandten in Istanbul, aber Urlaub an sich ist auch an anderen Orten möglich. Ich würde gern das türkische Meer nach Kempten importieren und die wunderschönen Berge und grünen Wiesen des Allgäus nach Istanbul exportieren. Auch würde es mich sehr freuen, wenn die Beziehung zwischen der Türkei und Deutschland harmonischer wäre, da jede Disharmonie in den internationalen Beziehungen zwischen den beiden Staaten bei den hier lebenden Türken spürbar ist.

Ilknur, das ist ein frommer Wunsch, aber ein guter Schlusssatz. Ich wünsche dir von Herzen, dass du weiterhin so engagiert, quicklebendig und dazu so liebenswürdig bleibst. Denk immer an die Fähigkeiten, die du hast und zögere nicht, auch weiterhin von ihnen Gebrauch zu machen. Ich danke dir herzlich für dieses Gespräch.

Schau mal raus, es schneit schon wieder. Lass uns jetzt heimgehen. 
Share by: